Warum Usability-Experten Wert darauf legen, nicht von sich selbst auf andere zu schließen.
Wer Nacharbeiten in seiner eigenen Software-Entwicklung reduzieren kann, hat einen kalkulierbaren Wettbewerbsvorteil. Usability-Untersuchungen gehen davon aus, dass 45% der implementierten Funktionen von den Usern nicht benötigt werden, aber 39% der benötigten Funktionen fehlen.
So verwundert es wenig, dass IT-Hersteller nach Usability-Ansätzen suchen, wie sie die Nacharbeiten in ihrer Entwicklung wiederholbar reduzieren können. Gute Usability-Ansätze beachten die menschlichen Denkfehler um Software im Rahmen des verfügbaren Budgets fertigzustellen.
Falscher-Konsens-Effekt
Wie auch in anderen Bereichen leisten die kognitiven Verzerrungen einen wesentlichen Beitrag zu den Nacharbeiten in der Software-Entwicklung. Diesen Verzerrungen ist jeder Mensch unbewusst ausgesetzt.
Eine dieser Denkfallen nennt sich Falscher-Konsens-Effekt (False Consensus Effect). Er beschreibt die Tendenz jedes Menschen, die eigenen Meinungen, Vorlieben, Werte und Gewohnheiten als normal anzusehen. Menschen ziehen sogar Selbstvertrauen aus ihrer Annahme, dass andere genauso denken würden, wie sie selbst.
Der Falsche-Konsens-Effekt ohne Usability-Engineering
Erfolgsorientierte IT-Hersteller wissen, dass individuelle Unterschiede im Denken der User unvermeidbar sind. Um diesen Unterschieden bei der Entwicklung von Anforderungen und User Interfaces gerecht zu werden, binden uns unsere Kunden für das Usability Engineering ein.
Dabei treffen wir regelmäßig auf den Falschen-Konsens-Effekt, für den ich Ihnen im Folgenden mögliche Ausprägungen aufzeigen möchten:
Jahrzehntelange Erfahrung
Jahre- oder gar jahrzehntelange Erfahrung fördert den Falschen-Konsens-Effekt. Der Grund liegt in der Wiederholung, die Produktmanager, Vertriebler und Projektleiter seitens Ihrer Kunden und User regelmäßig erleben.
Wiederholung langweilt uns Menschen für gewöhnlich. Daher suchen wir zum Einen lieber nach Neuem als nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu dem, was wir bisher über andere Kunden gelernt haben. Bei diesem Verhalten besteht die Gefahr von den eigenen Erfahrungen auf andere zu schließen, weil keine neue Information mehr von den Kunden oder Usern erwartet werden.
Zum anderen reduzieren Menschen ihren Austausch gern auf einen höflichen Minimalumfang, wenn sie nichts Neues erwarten. Software-Anforderungen und User Interface Designs werden dann aus der eigenen jahrelangen Erfahrung heraus konzipiert. Die Folge sind Informationsmangel und wiederum abweichende Prioritäten im Vergleich zu den Usern.
Zum Glück gibt es auch diejenigen, welche die Details und den Austausch mit den Endkunden und -usern lieben. Häufig stehen sie allerdings vor sprachlichen Herausforderungen.
Gleiche Wörter unterschiedlich interpretiert
Sie wissen, dass dasselbe Wort in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutung erhalten kann. Leider ist nicht immer offensichtlich, welche Wörter mehrdeutig sind. So kommt es vor, dass beispielsweise der Arbeitstitel einer Funktion zu einem unterschiedlichen Verständnis davon führt, was sie machen muss.
Als illustrierendes Beispiel sei an dieser Stelle nur auf die Funktionen des horizontalen und vertikalen Spiegelns verwiesen. Horizontales Spiegeln macht je nach Grafik- oder Präsentationsprogramm das, was in anderen Programmen als vertikales Spiegeln bezeichnet wird.
Aufbauend auf ein derartiges Missverständnis kostet die Umsetzung der falschen Funktion unnötige Zeit. Da nützt es Ihren Ressourcen auch nichts, dass nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet wurde.
Dem User die Wörter in den Mund legen
Ein anderer Grund für den Falschen-Konsens-Effekt sind Gespräche, bei denen den Kunden und Usern geholfen wird, die richtigen Worte zu finden.
Kunden und User tun sich für gewöhnlich schwer damit zu beschreiben, was die benötigte Software leisten können muss. An dieser Stelle neigen Projektleiter gern dazu, dem User zu helfen. Sie formulieren, Anforderungen, die gemeint sein könnten, oder helfen bei der Bedienung des aktuellen Entwicklungsstandes aus.
Menschlich verstehe ich diese fürsorgliche Geste. Leider folgen User an dieser Steller gern ihrem menschlichen Instinkt und machen es sich einfach. Sie stimmen Anforderungen vorschnell zu, da sie es selbst noch nicht besser wissen oder nehmen selbst nicht wahr, dass ihnen im Umgang mit dem User Interface geholfen wurde.
Werden diese Reaktionen der User als positives Feedback interpretiert, werden häufig die falschen Anforderungen herausgearbeitet. Dies führt dann zu Nacharbeiten und trägt nicht zur Zufriedenheit Ihrer Kunden bei.
Methoden des Usability-Engineerings
Den genannten Ursachen des Falschen-Konsens-Effekts ist gemeinsam, dass sie den IT-Beteiligten nur selten bewusst werden.
Die gute Nachricht lautet, dass es Usability-Methoden gibt, mit denen Sie auf gewohntem Weg von Ihren Usern lernen und den Falschen-Konsens-Effekt mindern können. Eine Auswahl an Methoden für die Anforderungsanalyse, das User Interface Design und User Experience Tests finden Sie hier.
Durch den Einsatz dieser Usability-Methoden haben Sie und Ihre Kollegen Abwechslung und erhalten anwenderorientierte Informationen für Ihre Software. Bei wiederholter Verwendung versetzen Sie sich in die komfortable Lage Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Usern deutlich leichter zu identifizieren. Durch vergleichbare Daten sinkt auch die Gefahr, Aussagen Ihrer User fehlzuinterpretieren.
Was Ihnen die Usability-Methoden leider nicht abnehmen können, ist Ihren Usern nichts in den Mund zu legen. Das ist eine Frage des richtigen Umgangs mit den Methoden und ausreichend Übung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen schnelle Erfolge beim Ausprobieren der einen oder anderen Usability-Methode.