Warum Designer nicht ihr eigenes User Interface Konzept evaluieren dürfen.
Sicherlich kennen Sie auch die Diskussionen, welche das User Interface Design begleiten. Einige Kollegen sprechen sich für das Ergebnis aus, andere dagegen und wieder andere suchen nach Kompromissen zwischen den Positionen der Beteiligten.
Aufwandsbegründung im User Interface Design
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Urheber der Designs dabei meistens die Befürworter sind? Das liegt daran, dass die meisten Menschen die Tendenz haben dem Ergebnis eigener Anstrengungen einen größeren Wert beizumessen. Dieses Phänomen nennt sich Aufwandsbegründung (Effort Justification).
Dem Ergebnis wird dabei um so mehr Wert beigemessen, je mehr Anstrengung dafür nötig war. Das gilt auch für die Entwicklung eines User Interfaces. Obwohl die Differenzierung der Designphasen dazu beiträgt, die Entwicklungszeit für ein hochwertiges User Interface mittelfristig zu verkürzen, kostet auch diese Arbeit Zeit und Anstrengung.
Im Wesentlichen wird die Effort Justification beim User Interface Design durch die folgenden drei Arbeitsschritte verstärkt:
Die Informationsarchitektur Ihres User Interface Designs
Im ersten Schritt entwickelt ein Designer aufbauend auf seinem Wissen über den Nutzungskontext die Informationsarchitektur bzw. das Navigationskonzept. Hierbei sucht er nach den notwendigen Seitenansichten, die ein Produkt bieten muss und danach, wie diese zusammenhängen.
Nach Barry Boehm ist die Menge der Konzeptalternativen am Anfang der Entwicklung am größten. Das gilt auch für die möglichen Navigationskonzepte, mit welchen Ihr System bedient werden könnte.
Leider beginnen viele Produktentwicklungen mit der Gestaltung nur eines Navigationskonzeptes. Die anschließende Diskussion des Arbeitsstandes verläuft dann häufig, wie bereits oben skizziert. Die Designer verteidigen ihre Arbeit, für die sie nach bestem Wissen und Gewissen Zeit aufgewendet haben.
Das führt in den meisten Fällen lediglich zur evolutionären Verbesserung des vorliegenden Navigationskonzeptes. Revolutionäre Verbesserungen samt enormer Qualitätssprünge sind so nicht möglich.
Das Interaktionsdesign Ihres User Interfaces
Im nächsten Schritt detailliert der Designer die Informationsarchitektur in Richtung Interaktionsdesign. In dieser Phase definiert er, wie sich das User Interface Ihres Produktes gegenüber Ihren Usern verhält. Dabei werden die Seitenansichten für die Aufgaben der User optimiert, die Darstellung des Systemstatus konzipiert, Lösungen für Fehlbedienungen erarbeitet usw.
Der Aufwand, der für das Interaktionsdesign nötig ist, bemisst sich allein danach, wie lückenlos die User Interface Spezifikation sein soll. Je vollständiger sie sein soll, desto aufwändiger wird sie.
Entsprechend der Effort Justification steigt mit dem Umfang der Spezifikation auch die Identifikation des Designers mit dem Ergebnis.
Das Grafikdesign Ihres User Interfaces
Mit der Konzeption der Seitenansichten und des Verhaltens Ihres User Interfaces ist ein Großteil der Usabilityeinflüsse definiert. Nun muss der Grafikdesigner einen Spagat hinbekommen.
Auf der einen Seite muss er die Usability Ihres User Interface Designs durch wahrnehmungsergonomische Aspekte wie Schriftgrößen und Kontraste unterstützen. Auf der anderen Seite muss dies so geschehen, dass das User Interface von den Nutzern als ästhetisch ansprechend und modern wahrgenommen wird.
Auch mit dieser Herausforderung geht im Sinne der Effort Justification eine wachsende Betriebsblindheit der Designer und ihre schwindende Kritikfähigkeit einher.
Effort Justification beeinflusst Usabilitytest
In diesem Zusammenhang durften wir schon bei kunden-internen Usabilitytests dabei sein, die von den Designern geleitet wurden. Diese unterstellten ihren Kollegen „Du stellst Dich mit Absicht dumm“ oder „Du willst den Button wohl nicht sehen“.
Zum Glück sind das Extremfälle. Doch selbst, wenn das Feedback nicht offensichtlich ist, bleibt immer noch die unbewusste, höhere Wertschätzung der Designer für das eigene Arbeitsergebnis. Damit geht das Risiko einher, dass die Designer auch im Usabilitytest einen suggestiven Einfluss auf die Ergebnisse nehmen.
Diese überhöhte Wertschätzung der eigenen Arbeitsergebnisse ist der Hauptgrund dafür, dass Designer möglichst nicht die Usabilitytests für ihre eigenen User Interfaces durchführen sollten. Das Feedback Dritter ist aus Sicht der Designer, die viel Aufwand in ihr Ergebnis steckten, weniger ernst zu nehmen. Zum Beispiel „weil sie nicht so tief drinnen stecken wie ich“.
Doch Vorsicht! Das heißt nicht, dass die Designer dem Usabilitytest nicht beiwohnen sollten. In unserer Anfangszeit mussten wir erleben, dass die Designer den Ergebnissen unserer Usabilitytests kaum glauben wollten. Seitdem laden wir sie ein, den Usabilitytests beizuwohnen. Nur so können Sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie die Nutzer mit dem User Interface Design zurecht kommen.
Trennen Sie die Rollen für Design und Usabilitytest
Das Phänomen der Aufwandsbegründung (Effort Justification) trübt die objektive Wahrnehmung von Feedback. Vermeiden Sie einfach, dass Ihre Designer die Usabilitytests durchführen. Die offenere Atmosphäre für das Feedback der User bringt die Usability Ihres User Interfaces schneller voran.
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