Wie der Shared Information Bias den Innovationen entgegenwirkt. Und was Sie dagegen tun können.
Innovative Produkte verändern die Welt. Doch bis es soweit ist, fließt viel Wasser den Bach hinunter. Alles beginnt mit einer Idee, die bis zu ihrem Markterfolg viele Hindernisse zu überwinden hat. An ihrer Quelle ist sie jedoch nicht allein. Die alles entscheidenden Fragen über ihr Fortbestehen warten bereits auf sie und werden sie fortan begleiten. Hierzu gehören: Was ist für den Erfolg der Idee nötig? Was steht ihr im Wege? Lohnt sich der Aufwand für ihre Realisierung?
Antworten liefern regelmäßige Abschätzung während der Konkretisierung der Idee. Um sie in Produktanforderungen zu übersetzen, wird die Idee vielfach diskutiert. Dabei werden eingängige Anforderungen bereitwillig von anderen aufgegriffen und wiederholt.
Die häufige Wiederholung einzelner Produktanforderungen schafft Vertrauen und stärkt den Glauben der Beteiligten an sie. Wer hierbei keine konkurrierenden Ideen zu den Anforderungen und unabhängige Meinungen fördert, wird den Markterfolg seines Produktes jedoch nicht erleben.
Shared Information Bias
Grund hierfür ist eine kognitive Verzerrung namens Shared Information Bias. Er beschreibt die menschliche Tendenz, mehr Zeit und Energie in die Diskussion bereits bekannter Informationen zu investieren. Für weniger bekannte Informationen wird hingegen weniger Zeit und Energie aufgewendet.
Auf diese Weise fördert der Shared Information Bias den Gruppenkonsens und die Betriebsblindheit. Gleichzeitig mindert er die Qualität der Entscheidungen und Produktanforderungen.
Die 5 Arten des Unwissens
In der Praxis zeigt sich der Shared Information Bias in drei der fünf Arten des Unwissens nach Philip G. Armour [1]. Wir haben diese auf Gruppen übertragen und stellen sie ihnen der Vollständigkeit wegen alle fünf vor.
Wir beginnen mit der Art von Unwissen, wie sie nach der Beseitigung des Shared Information Bias auftritt und arbeiten uns danach zur komplexesten Art vor:
Kein Unwissen
Kein Unwissen besteht, wenn jeder in der Gruppe alle relevanten Informationen kennt und greifbar demonstrieren kann. Beispiele hierfür sind fundierte Erfahrungen mit bestimmten User Experience Methoden oder Programmiersprachen.
Wissensmangel
In Gruppen, die erkannt haben, was sie nicht wissen, herrscht Wissensmangel. Ein Beispiel hierfür sind IT-Unternehmen, die erkannt haben, dass zur Beantwortung verschiedener User Experience Fragen auch unterschiedliche Methoden zur Verfügung stehen. Sie können den Wissensaufbau aktiv angehen, indem sie beispielsweise jemanden für Schulungen engagieren. Ein anderes Beispiel sind Entwickler, die ein Entwicklungs-Framework noch nicht kennen und eine Schulung dafür erhalten.
Mangel an Bewusstsein
Ist den Entwicklern das spezielle Framework jedoch noch nicht bekannt und sie entwickeln alles von Hand, so herrscht ein Mangel an Bewusstsein. Damit steht der Bewusstseinsmangel für alle unbekannten Inhalte, von denen die Gruppe nichts weiß. Ein Klassiker für diese Art des Unwissens sind die Inhalte und Informationen die auf dem Weg vom User über die Entwicklung bis hin zum Produkt verloren gehen.
Mangel eines Prozesses
Kommt zusätzlich ein Prozessmangel hinzu, fehlt der Gruppe auch der Weg, mit dem sie die bislang unbekannten Inhalte aufdecken kann. Ein Beispiel hierfür sind fehlende Vorgehensweisen, mit denen die unbekannten Ziele und Aufgaben der Kunden aufgedeckt werden. Nur wer das methodisch vermisst, weiß, wie hoch sein Informationsverlust ist.
Meta Unwissen
Gruppen, welche die fünf Arten des Unwissens nicht kennen, leiden am Meta Unwissen.
Erfolgreiche Innovationen brauchen bessere Entscheidungen
Ausgehend vom Mangel an Wissen, Bewusstsein und Prozess stellt sich die Frage, wie derartiges Unwissens aufgrund des Shared Information Bias zu vermeiden ist. Dies erfahren Sie im Folgenden.
Expliziten Konsens nicht als Ziel vorgeben
Nach Postmes, Spears und Cihangir (2001) ist der Shared Information Bias in den Gruppen größer, die explizit einen Konsens anstreben [2]. Ein Beispiel hierfür stammt aus der agilen Entwicklung und nennt sich Planning Poker. Mit ihm wird ein expliziter Konsens angestrebt und der Shared Information Bias gefördert.
Hat die Gruppe jedoch die bestmögliche Entscheidung zum Ziel, so spielt der Shared Information Bias eine untergeordnete Rolle. Die bestmögliche Entscheidung kostet natürlich mehr Zeit und braucht andere Methoden. Doch mit den richtigen Methoden können Sie hier abkürzen.
Reputationstreben senkt Entscheidungsqualität
Möchten sich ein oder mehrere Mitglieder einer Gruppe profilieren, ist der Shared Information Bias ebenfalls größer [3]. Informationen werden nur selektiv weitergegeben, weil Wissensvorsprung der eigenen Reputation nutzt.
In diesem Fall ist der Shared Information Bias schwerer zu vermeiden. Eine Möglichkeit besteht darin, den Informationsaustausch samt anschließender Bewertung zu moderieren. Durch die Gruppendynamik lassen sich Menschen hinreißen, ihr Wissen mit anderen zu teilen.
Gezielt Raum für neue Informationen schaffen
Außerdem erhalten in regelmäßig, moderierten Diskussion alle Beteiligten denselben Freiraum, ihr Wissen zu teilen. Damit kommen auch diejenigen zu Wort, die eher ruhiger sind. Der Ablauf dieser Diskussionen empfiehlt sich wie folgt:
- Bekanntmachung: Jedes Mitglied einer Gruppe erhält die Möglichkeit Informationen zu verteilen, welche noch nicht der ganzen Gruppe bekannt sind.
- Diskussion: Der Gruppe wird Zeit zur Diskussion dieser Informationen zur Verfügung gestellt. Das Ziel der Diskussion ist die Information zu verstehen, aber nicht, diese zu bewerten.
- Nachverfolgung: Dieselben Information werden zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal angesprochen. Grund hierfür ist, dass wir Menschen dieselben Informationen bei unterschiedlichen Primings verschieden aufnehmen und verstehen. (Priming bezeichnet die kognitive Vorbereitung eines Menschen durch vorhergehende Reizeinflüsse.)
Diversität und Unabhängigkeit
Das Verständnis neuer Informationen fördert die Diversität als wichtiges Element zur Minderung des Shared Information Bias. Doch sie allein reicht nicht aus, um erfolgreiche Innovationen zu schaffen.
Zusätzlich müssen die Bewertungen der Informationen durch Gruppenmitglieder anonym und unabhängig von einander erfolgen. Nur so wird das menschliche Streben nach Gruppenkonformität zugunsten der bestmöglichen Entscheidung gefördert.
Innovationen realisieren Sie durch Wettbewerb der Informationen
Diversität hinsichtlich der Informationen und unabhängige Urteile darüber bilden die unumgängliche Basis für erfolgreiche Innovationen. Der Shared Information Bias reduziert die Menge verfügbarer Informationen und damit ihre Diversität.
Also fördern Sie die Informationsvielfalt auf deren Grundlage Ihre Idee konkretisiert wird. Gern geben wir Ihnen unsere Ingroup Research Methoden zur Förderung der Informationsdiversität und Tools für bessere Entscheidungen an die Hand. Nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf und fragen Sie uns danach.
Ihre Gedanken zu diesem Artikel sind uns wichtig. Bitte teilen Sie Ihre Fragen oder Anregungen mit uns und hinterlassen Sie einen Kommentar. Danke und viel Spaß beim Weiterlesen!
Quellen
[1] Phillip G. Armour (2000). The Five Orders of Ignorance. COMMUNICATIONS OF THE ACM. October 2000/Vol. 43, No. 10
[2] Postmes, T., Spears, R., & Cihangir, S. (2001). Quality of Decision Making and Group Norms. Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 80, No. 6.
[3] Wittenbaum, G. M., Hollingshead, A. B., Paulus, P. B., Hirokawa, R. Y., Ancona, D. G., Peterson, R. S., Jehn, K. A., & Yoon, K. (2004). The functional perspective as a lens for understanding groups. Small Group Research.
toller Beitrag! Congratulations.
Martin Bernhardt
Founder
dynamic-applications.com
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Vielen Dank für die Einsicht in „die menschliche Tendenz, mehr Zeit und Energie in die Diskussion bereits bekannter Informationen zu investieren“. Interessante und einleuchtende Analyse!