Die Psychologie der Motivation – Wie(so) selbstorganisierte Teams funktionieren

Wissensmanagement mit MS SharepointAls Dozent an der TU-Berlin hat unser Geschäftsführer, Steffen Eßers, sein Wissen zur „Psychologie der agilen Entwicklung“ mit seinen Studenten geteilt. Hierbei sind Artikel entstanden, welche die Studenten in unserem Blog veröffentlichen.

Nachfolgend lesen Sie ein Interview mit Trieu Huynh von Elisabeth Gassner zum Thema selbstorganisierte Teams.

Wieso stehen wir morgens auf? Wieso essen wir etwas, gehen arbeiten, und üben bestimmte Berufe und Sportarten aus? Wieso tun wir genau das was wir tun? Motivation ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Ohne sie würden wir Menschen nichts unternehmen – weder aufstehen, essen, trinken, noch arbeiten.

Es gibt viele Theorien rund um das Thema Motivation, einige beschäftigen sich mit dem Menschen an sich – mit seinen Motiven und Bedürfnissen – und den Gründen wieso wir etwas tun und andere Dinge wiederum lassen (Murray, Mc Celland). Andere Theorien, wie Lewins Feldtheorie, involvieren zusätzlich die Umwelt mit ihren vielfältigen Handlungsmöglichkeiten, wonach personale und zusätzlich situative Eigenschaften die Motivation beeinflussen.

Wie bei jeder guten Kunst ist außer der Theorie vor allem die Praxis spannend. Wie sieht es nun in agilen, sprich selbstorganisierten Teams aus? Dort gibt es keinen „Boss“, welcher sagt, wo es lang geht. Wie sieht es dort mit der Motivation aus?

„Just try it!“ (Trieu)

Trieu Huynh (40) ist Agilität in Person – er hat Arbeitserfahrung im agilen Umfeld und coacht Teams bei Albert Heijn in Amsterdam (NL) seit rund 6 Jahren. Albert Heijn ist einer der größten niederländischen Supermarktketten und gehört zu Ahold Delhaize, einem der weltweit größten Lebensmitteleinzelhändlern. Trieu arbeitet im Bereich Strategic Concept Development und entwickelt dort Neuheiten. Jedoch nicht alleine – er hilft 6-7 Teams und coacht seine Teams darin, neue Sachen zu entwickeln. Was Trieu anfässt wird zu gold. Außerhalb seines Berufes hat er eine Band, die mittlerweile das zweite Album produziert und er coacht einen Friseursalon, damit sich dieser selbstorganisiert.

Die meisten Projekte, die Trieu bei Albert Heijn betreut sind temporär. „Meist gibt es ein neues Projekt und alles muss ganz schnell gehen. Sie wissen wie es auf die alte Weise erledigt wird, aber nicht wie es schneller fertig wird. Und dann.. dann fragen sie mich.“ Wenn Trieu die neue Arbeitsweise installiert, dann läuft das Team von alleine – was für ihn etwa 6-8 Wochen dauert. Manchmal sogar weniger.

Trieu, was ist Deine Präferenz bei der Arbeit- agile oder non-agile?

Es gibt natürlich viele Wege. Da gibt es Sprints, Lean und alle möglichen Wege außer Agil. Ähm aber ich bin nicht strikt agil. Was ist agil oder SCRUM oder was auch immer? Das einzige was ich tue ist, dass ich Teams ermutige etwas zu lernen durch Handeln und dass sie nicht zu lange über Sachen reden, sondern etwas ausprobieren. Dass sie sofort etwas liefern. Und dass alles, was sie tun, gut genug ist, um zu beginnen. Und dass es völlig in Ordnung ist, seine Meinung zu ändern und Fehler zu machen.

Das hört sich sehr schön an!

Es ist schön.

Wie ist es möglich, dass selbstorganisierte Teams funktionieren? Wenn man an selbstorganisierte Teams denkt, fragen sich sicherlich manche „wie kann das funktionieren?“ Wieso denkst Du, dass selbstorganisierte Teams möglich sind und sogar gut funktionieren?

Weil es gesunder Menschenverstand ist, es tritt im alltäglichen Leben auf. Ich meine, wenn eine Gruppe von Freunden in den Urlaub fährt oder ins Restaurant oder Nachts ausgeht, das funktioniert. Dahinter steht keine Organisation. Es gibt niemanden, der dem anderen sagt, was zu tun ist. Es ist kein Chef involviert oder was auch immer. Das funktioniert. Also, das ist das Prinzip von selbstorganisierten Teams. Der einzige Unterschied ist, dass das Business Team an einen bestimmten Zweck gebunden werden sollte – eine bestimmte Vision, die sie erreichen wollen. Das ist alles. Es ist das gleiche.

Wie sieht es mit einer Gruppe von Freunden aus, die in den Urlaub fahren?

Das einzige, was sie wissen ist, dass sie in den Urlaub fahren. Und der Rest basiert auf Vorschlägen, Ideen, Diskussionen und Meinungen innerhalb dieses so genannten Teams. Ich meine, jeder ist ein Erwachsener, richtig? Jeder weiß, wie er überlebt, jeder weiß, wie er Dinge erreicht. Ich persönlich glaube nicht, dass wir Manager benötigen, die uns sagen, was wir tun sollen.

Es gibt einen Unterschied zwischen privaten Unternehmungen, die Spaß machen und Arbeit, die wie Arbeit sein soll, oder nicht?

Ja, aber das ist eine Sache in Deinem Kopf. Das muss nicht so sein. Warum ist das anders? Es sind immer noch Menschen.

Wo siehst Du die Bedeutung von Motivation in einem selbstorganisiertem Team? Denkst Du, Motivation ist wichtig in einem selbstorganisiertem Team?

Ja, auf jeden Fall! Auf jeden Fall ist es wichtig. Ja, Verantwortung ist auch wichtig. Sehr.

Wieso, denkst Du, ist es wichtig motiviert zu sein?

Also wenn Menschen nicht motiviert sind, geschieht nichts, nicht wahr? Also wenn du möchtest, dass etwas passiert, dann müssen die Menschen irgendwelche Gründe oder Treiber haben, warum sie etwas tun wollen. Vielleicht wollen sie etwas lernen, vielleicht wollen sie etwas erkunden, vielleicht wollen sie etwas versuchen, vielleicht fühlen sie sich verantwortlich. Vielleicht wollen sie einfach nur glücklich zu sein.

Woher kommt Deiner Beobachtung nach Motivation?

Nun, eine wichtige Sache für die Motivation ist eine anspruchsvolle Zielsetzung. So wie: Was wollen wir erreichen? Weshalb ist dieses Team hier? Was soll es erreichen? Das ist bereits eins, wenn Du weißt, wieso dieses Team auf diesem Planeten ist und wenn Du weißt, was es dazu beitragen wird, um etwas besser zu machen, z.B. für den Kunden, die Umwelt, die Natur, den Planeten oder was auch immer. Das ist bereits eine Herausforderung.

Was ist Deiner Meinung nach die besondere Zutat für Motivation bzw. um Teams zu motivieren? Was motiviert Menschen?

Nun, man muss herausfinden, welche Herausforderungen sie interessieren. Ich begann mit Teams zu arbeiten, welche eine bestimmte Herausforderung hatten, bspw. einen besonders kurzen Zeitraum um etwas zu entwickeln. Oder z.B. gab es ein Team, welches Motivationsprobleme hatte. Sie wussten nicht, wofür sie hier waren, sie wussten nicht, was sie erreichen sollen, sie wussten nicht, wie sie zusammenarbeiten sollen.

Und was ich tat war folgendes: Ich setzte mich mit ihnen für eine Stunde hin und fragte. Ich bat sie einfach auf Notizzettel zu schreiben, was sie glücklich macht. „Was macht dich glücklich?“ Einfach alle möglichen Dinge. Und dann, weißt du, natürlich will jeder glücklich sein. Also von Natur aus ist jeder motiviert glücklich zu sein. Und es kann sein, dass der gewünschte Zustand des Glücklichseins nicht der momentanen Situation entspricht. Also gibt es dort ein Delta. Es gibt eine Differenz. Und eine Differenz bedeutet, dass man etwas dagegen zu tun hat. Also von dort aus gehen wir weiter á la: Du weißt was dich glücklich macht und man gruppiert dies, sodass sich 5-6 Dinge herauskristallisieren. Anschließend fragt man das Team, was von diesen 5-6 Dingen dringende Reparatur benötigt. Und man wählt das eine Wichtigste und man beginnt zu diskutieren: „Okay was läuft schief? Und was sollten wir jetzt tun? Etwas nächste Woche probieren. Oder es jetzt gleich tun.“

Also ist es Dein Job Menschen glücklich zu machen?

Ja.

Siehst du eine Verbindung zwischen Motivation und Selbstorganisation?

Ja, man kann das so sagen. Nun, es ist nicht Motivation, es ist eher Verantwortung. Also ich gebe Teams Verantwortung. Ich bin nicht verantwortlich für ihre Motivation. Sie sind verantwortlich für die Erfolge des Teams und wenn die Erfolge des Teams nicht so gut sind, dann liegt dies in seiner Verantwortung. Dann können wir fragen: „Hey, bist du zufrieden? Ist jeder zufrieden damit?“ Dann ist das schön und gut, aber wenn es Menschen gibt, die nicht zufrieden sind, dann muss etwas dagegen getan werden.

Siehst du eine Verbindung zwischen Verantwortung und Motivation?

Für mich ist Verantwortung größer als Motivation. Motivation ist nur ein Mittel. Sie können Motivation ohne Verantwortung haben, aber das ist schwierig. Es ist viel einfacher, Verantwortung zu haben.

Also kann man sagen, wenn man Menschen Verantwortung gibt, dann kommt die Motivation?

Ja.

Siehst Du eine Verbindung zwischen Motivation und Wohlergehen?

Ich weiß nicht. Stress (lacht). Zu viel Motivation ist auch nicht gut.

Nein?

Nein, natürlich nicht. Es erzeugt sehr viel Stress. Natürlich ist Motivation generell eine gute Sache. Aber zu viel Motivation… Ich meine, ich persönlich denke – gebe Teams die Verantwortung um ihre Arbeit zu tun und Dinge zu erreichen. Wie sie es tun, ist ihnen überlassen, okay? Es wird Sprints geben, die großartig sein werden und es wird Sprints geben, die wirklich schlecht sein werden und das ist völlig in Ordnung. Es sagt nichts über die Motivation des Teams aus, so lange sie ihre Ziele erreichen. Ich meine, ja, und wenn sie ständig motiviert und besessen und fokussiert sind, dann ist das wirklich hart. Man muss einen Weg finden, damit es Spaß macht. Wir sind keine Maschinen.

Welche agilen Praktiken führen nach Deiner Erfahrung zu Motivation?

Notiere, was sie glücklich macht, verpflichte dies zu den Unternehmenserfolgen und dann beginne dorthin zu gelangen.

Was, wenn es einen Konflikt zwischen den Glücklichsein-Punkten und den Unternehmenszielen gibt? Z.B. Arbeiter mögen Freizeit, das Unternehmen will jedoch, dass seine Mitarbeiter 80 Stunden pro Woche arbeiten.

Ja, okay, dort muss es ein größeres Ziel geben als das. Wieso will ein Unternehmen, dass sie 80 Stunden pro Woche arbeiten? Was sollen wir erreichen? Es kann kein Ziel an sich sein, dass ein Unternehmen seine Mitarbeiter 80 Stunden pro Woche arbeiten lassen will. Wieso wollen sie das? Vielleicht gibt es Deadlines, die eingehalten werden sollen, ich weiß es nicht. Es gibt immer einen Weg es zu lösen. Und wenn nicht, dann nicht.

Welche Quellen der Demotivation kennst Du? Welche Situationen sind demotivierend?

Ich kann Dir vier nennen: sehr üblich ist beispielsweise, dass Leute nicht zusammenarbeiten möchten, oder sie mögen keine Veränderungen oder es gibt keinen Fortschritt – oder alle möglichen Dinge, die schief laufen können führen zu Demotivation. Besonders, wenn sie nicht gelöst worden sind. Z.B. sagt jeder „Wir haben furchtbare Tische. Wir haben drei Retrospectives angesetzt und es wurde nichts dagegen unternommen.“

Wenn es etwas für all die agilen Teams weltweit geben würde, was geändert oder verbessert werden müsste – hast Du einen Vorschlag bzgl. Motivation und Selbstorganisation?

Nun, ich würde sagen, reduziere einfach jeden Abfall, jeden Projektabfall und probiere etwas aus.

Was meinst Du mit Projektabfall?

Reduziere Meetings, reduziere Reports, reduziere Dokumentation, reduziere Emails, reduziere Präsentationen. Alles nicht funktional. Das einzige, das funktioniert ist lieferbar, wirklich funktionierend, lieferbar. Der Rest ist Abfall. Also Diskussionen über „was sollen wir tun? Sollen wir Scenario A oder sollen wir Scenario B umsetzen?“ Keine Untersuchungen, keine Nachforschungen oder was auch immer. Probiere einfach etwas aus. Probiere etwas Kleines.

4 Gedanken zu “Die Psychologie der Motivation – Wie(so) selbstorganisierte Teams funktionieren

  1. Hallo Eli,
    das war ja ein interessantes Interview. Ich habe einmal unter einem sehr motivierenden Chef gearbeitet, der meiner Meinung nach ein nahezu „perfektes“ Team geschaffen hat (oder wenigstens eine Umwelt in der sehr gutes Arbeiten möglich war). Alle im Team waren hoch motiviert und arbeitswillig. Das erzeugte ein hohes Maß an Produktivität.
    Besagter Arbeitgeber war Professor für Physiologie. Er hat sich für jeden Mitarbeiter (Doktoren, Studenten, MTAs) Zeit genommen und deren Vorschläge oder Ideen dankend angenommen. Dennoch war er sehr streng und forderte ein hohes Maß an Engagement. Ich denke die Kombination aus Strenge und Akribität aber auch Anerkennung bei guter Leistung war hervorragen für die Motivation im Team.
    Aus A&O-Sicht heraus waren die alljährlichen Weihnachtsfeiern für die Wertschätzung im Team spannend. Mit gutem Essen und reichlich alkoholischem war eine entspannte Atmosphäre geschaffen in der sich jeder Mitarbeiter wohl fühlte und nochmal in einer Ansprache Lob vom Chef als Art Weihnachtsgeschenk erhielt. Das war ein sehr lehrreiches Anschauungsbild für die theoretisch erarbeiteten Merkmale wie ein Chef/ Manager optimal motivieren kann.

  2. Hallo Eli,

    ein sehr interessantes Interview und eine schöne Abwechslung, weil dein Blogartikel dadurch so nah an der Praxis ist.
    Ich finde, du hast sehr gute Fragen gestellt. Mir gefällt der Gedanke, den sogenannten Projektabfall zu reduzieren, auch wenn ich glaube, dass das für herkömmliche Unternehmen eine große Herausforderung ist und einen hohen Zeitaufwand mit sich bringt.
    Die starke Verbindung zwischen Motivation und Verantwortung sehe ich selbst im Job auch so. Durch Verantwortung empfinde ich Wertschätzung, die wiederum verstärkt motiviert. Der Grad ist jedoch schmal zum Stress, das ist wahr…

    Danke für das Interview!

  3. Hallo Eli,
    vielen Dank für den Blog Artikel. Ich finde es super, dass du ein Interview gewählt hast. Das ist mal ein anderes Format und auch spannend zu lesen. Besonders interessant finde ich den Aspekt, dass Huynh der Meinung ist, dass eine zu hohe Motivation auch nicht gut ist, da dieses zu Stress führt. Das habe ich in einigen Projekten auch schon erlebt. Also dass man zu motiviert ist und es in Stress ausartet. Ich glaube es ist super schwierig ein angemessenes Motivationslevel zu erreichen.
    Hier ist es mit Sicherheit auch wichtig, dass eine intrinsische Motivation vorliegt, weil das Team Spaß am Projekt hat.Dann wird die Arbeit sicherlich anders empfunden als wenn die Motivation extrinsischer Natur ist, die beispielsweise durch Belohnung (Boni, Beförderungen etc.) hervorgerufen wird.
    Ich stimme Huynh und auch Kerstin zu, dass Verantwortung zu erhöhter Motivation führen kann. Hier kommt es denke ich auch auf die Persönlichkeit des Mitarbeiters an. Also ob dieser mit Verantwortung umgehen kann.

  4. Hallo Eli,

    vielen Dank für diesen schönen Blogartikel. Es wahr sehr angenehm die Art eines Artikels zu lesen. Die Ansichten von Huynh kann ich größtenteils sehr gut nachvollziehen und finde sie verständlich. Wo ich etwas hardere ist der Projektabfall. Ich stimme durchaus zu, dass es keinen Sinn haben kann 300 Dokumentation zu schreiben und dabei die eigentliche Entwicklung nicht zu schaffen. Ich finde gerade Meetings für die Planung der Umsetzung aber durchaus hilfreich und wichtig. Wie schon in dem Artikel zur Problemlösung stand, ist es für die Lösung durchaus essentiell wichtig, dass viele Leute ihre Köpfe zusammen stecken, bevor gehandelt wird. Sprints in denen Sachen ausprobiert werden, finde ich durchaus nützlich, aber die Erfahrung hat mir auch gezeigt, dass Schnellschüsse meistens langfristig gesehen nicht optimal sind. Einen interessanten Artikel hatte ich einmal auf Arbeit gelesen, in der ein Entwickler seine Arbeitsweise beschrieb: Erst versucht er mit einem Schnellschuss ans Ziel zu kommen. Dann weiß er was alles beachten werden muss, welche Schwierigkeiten es gibt etc. Danach schmeißt er alles wieder weg und überlegt sich auf Basis der gesammelten Erfahrungen eine nachhaltige Lösung. Das könnte ich mir als guten Kompromiss vorstellen.

    LG Steffi

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