Als Dozent an der TU-Berlin hat unser Geschäftsführer, Steffen Eßers, sein Wissen zur „Psychologie der agilen Entwicklung“ mit seinen Studenten geteilt. Hierbei sind Artikel entstanden, welche die Studenten in unserem Blog veröffentlichen.
Nachfolgend schreibt Stephanie Katterwe über Team Commitment in der agilen Entwicklung.
Die fünf häufigsten Anzeichen für fehlendes Team Commitment in der Agilen Entwicklung und zwei einfache Wege sie zu beheben.
Und täglich grüßt das Murmeltier…
Stell dir vor, du arbeitest an einem großen Projekt mit 5 weiteren Personen. In vier Monaten soll von euch ein neuartiger Freizeitpark konzipiert werden. Der Anforderungskatalog ist euch viel zu unübersichtlich und umfangreich um gleich einen vollständigen Plan anzufertigen.
Die IT-Abteilung eurer Firma arbeitet schon seit längerer Zeit erfolgreich nach den agilen Methoden und Prinzipen. Gemeinsam habt ihr euch entschieden die agile Vorgehensweise bei diesem Projekt einmal auszuprobieren.
In mühevoller Kleinarbeit habt ihr alle Anforderungen analysiert und in kleine User Storys umgeschrieben. Die Stories habt ihr dann entsprechend der Kundenpriorität und der Machbarkeit in eine Reihenfolge gebracht. Den kompletten Anforderungskatalog habt ihr so in kleinere übersichtliche Iterationen unterteilt, um den Verlauf des Projektes besser zu überblicken. Jeden Tag setzt ihr euch für ein paar Minuten zusammen und überprüft den aktuellen Stand der Arbeit.
Ihr seid aktuell bei der dritten Iteration, aber es scheint alles nicht so zu funktionieren, wie ihr es euch vorgestellt habt. Ihr arbeitet zum Teil noch an User Stories aus der ersten Iteration. Leider ist der Arbeitseifer einzelner Teammitglieder in die falsche Richtung gelaufen und ihr müsst nun Teile noch einmal neu konzipieren.
Bei dem täglichen Meeting ist die häufigste Aussage: „Das ist quasi fertig. Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit.“ Bei der Frage, was jeder einzelne denn bis morgen schafft, heißt es nicht selten: „Das kann ich so nicht sagen.“ oder aber „Das wird locker bis morgen fertig“, nur dass dieses Ticket nun schon seit mehreren Tagen „bis morgen“ fertig wird.
Was eurem Team fehlt ist das Team-Commitment. In dem Blogbeitrag möchte ich euch die fünf häufigsten Anzeichen für fehlendes Team-Commitment erklären und euch danach zwei einfache Wege zur Etablierung und/oder Verbesserung des Commitments in eurem Team zeigen. Wem der Begriff Team-Commitment noch etwas sperrig ist, kann sich in diesem Video noch einmal abholen lassen.
Die fünf häufigsten Anzeichen für fehlendes Team-Commitment
1. Der Kunde ist nicht zufrieden.
„Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufriedenzustellen.“
Kernelement der Agilen Entwicklung, und das nicht nur in Bezug auf die Softwareentwicklung, sondern zum Beispiel auch auf unser Projekt im Beispiel oben, ist der zufriedene Kunde. Gleich das erste Agile Prinzip setzt das fest.
Die Agile Entwicklung benutzt einen iterativen Ansatz um dieses Ziel zu verwirklichen. Der Kunde soll so früh wie möglich in die Entwicklung mit einbezogen werden, um regelmäßig zu überprüfen, ob der richtige Weg verfolgt wird.
Doch in unserem Projekt ist es leider kaum möglich, den Kunden regelmäßig etwas zu zeigen, da durch die Arbeitsweise aktuell keine kontinuierliche Auslieferung oder Vorstellung des aktuellen Projektplans für den Freizeitpark möglich ist.
2. Die Arbeitsgeschwindigkeit schwankt deutlich.
„Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.“
Das fehlende Commitment des Teams bei der Konzipierung des Freizeitparks lässt selbst nach der dritten Iteration keine halbwegs genaue Abschätzung zu, welche User Stories in der nächsten Iteration machbar sind. Das Team möchte sich oder kann sich nicht festlegen. Genau das ist aber eine Voraussetzung um erfolgreich ein Projekt umzusetzen. Das Team muss wissen, was es in einer bestimmten Zeit, der Iteration, schaffen kann. Nur so ist eine Planung und nachhaltige Umsetzung möglich.
3. Das Ergebnis ist nur teilweise brauchbar.
„Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß“.
In unserem Beispiel ist das wichtigste Fortschrittsmaß nicht die funktionierende Software, sondern das in sich schlüssige Teil des Gesamtkonzeptes. In einem Team ist es wichtig, dass alle die Anforderungen und das Ziel vor Augen haben und gemeinsam darauf hin arbeiten. Sobald ein Teammitglied seine Interessen vor das der Gruppe stellt, wird das Ergebnis meistens unbrauchbar. Es ist kein kollektives Arbeiten mehr, sondern ein Kampf der Individuen. Resultat wäre dann ein sehr zerstückeltes Gesamtkonzept, mit durch den jeweils Einzelnen geprägten Teilstücke.
4. Die Iterationen verzögern sich deutlich und der Kunde bekommt den Zwischenstand nur unregelmäßig und in großen Abständen.
„Liefere funktionierende Software regelmäßig, innerhalb weniger Wochen oder Monate aus und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne.“
Ein weiterer wichtiger Hinweis auf fehlendes Team-Commitment liefert das obige Agile Prinzip. Werden gemeinsame Ziele missachtet und falsch eingeschätzt oder aber fällt es den Teammitgliedern schwer eine konkrete Abschätzung der eigenen Tagesziele zu formulieren, ist es nicht möglich regelmäßig die versprochenen Teilstücke, in dem Beispiel oben Teilkonzepte, zu liefern. Es werden ja in der dritten Iteration immer noch Aufgaben aus der Ersten erledigt…
5. Der Anspruch an die Umsetzung vom Team selbst wird mit zunehmender Zeit immer geringer.
„Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.“
Ein Team das mit dem Commitment Schwierigkeiten hat, erledigt das gerade so Nötigste, um ein Ziel zu erreichen. Ohne einen hohen Anspruch an sich und das Team und das entstehende Produkt zu haben. Wesentlich ist jedoch ein Team dem Produkt gegenüber so zu stellen, dass es aus eigenem Antrieb dafür Sorge trägt, dass was gemacht wird, auch sehr gut gemacht wird. Nur dann ist agile Entwicklung auf lange Sicht möglich und erfolgreich.
Zwei einfache Techniken zur Entwicklung des Team-Commitments
Selbst wenn ein Team im Grunde „committed“ ist, gibt es immer noch eine Möglichkeit den aktuellen Stand zu verbessern. Niemand ist perfekt. Ganz gleich, ob euer Team die Fähigkeit des Team-Commitments erst entwicklen möchte oder ob ihr es perfektionieren wollt, die fünf Techniken funktionieren in beiden Fällen gleichermaßen.
1. Let’s Play Agile
Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung des Team-Commitments ist das verinnerlichen des Agilen Denkens und Handelns. Die Agile Entwicklung ist mehr eine Philosophie, als ein Regelwerk. Um bei dem Team die Agilen Werte und Prinzipien in Ihrem Handeln und Denken zu verankern, lohnt sich ein spielerisches Herantasten. Ich möchte Euch ein Spiel vorstellen. Das Spiel kann natürlich nach belieben verändert werden, um verschiedene Aspekte der Agilen Entwicklung zu beleuchten. Der Fokus bei dieser Version liegt natürlich ganz klar auf dem Team-Commitment.
Was braucht ihr?
Gar nicht so viel: einen Moderator, ein paar Tennisbälle, einen oder zwei Eingeweihte (je nachdem ob ihr selbst nur moderiert, oder auch mitspielt) und natürlich das Team. Vielleicht noch eine Tafel oder Whiteboard um ein paar Ergebnisse zu sammeln 🙂 Dann kann es auch schon losgehen.
Die Regeln und der Ablauf
Das Spiel basiert auf vier einfachen Regeln:
- Es gibt einen festen Startpunkt, der gleichzeitig auch der Zielpunkt ist.
- Der Ball darf den Boden nicht berühren.
- Der Ball darf nicht an den direkten Nachbarn weitergegeben werden.
- Der Ball darf nicht von zwei Personen gleichzeitig berührt werden.
Ziel des Spiels ist es, ohne die Rollen und Artefakten der Agilen Entwicklung beim Namen zu nennen, eine agile Entwicklung zu spielen. Ihr wollt „Magische Bälle“ für unser Olympiateam produzieren. Ein Ball ist dann magisch, wenn er nach genau diesen vier Regeln produziert wird. Wie die Regeln genau umgesetzt werden, dass kann ganz alleine das Produktionsteam entscheiden. Für das Spiel ist es durchaus sinnvoll, euer Team einmal gut durchzumischen und wenn ihr genügend Leute seid, ruhig mit zwei verschiedenen Produktionsteams zu spielen.
Wie ihr Euch am Ende die Zeit genau einteilt, ist prinzipiell egal, wichtig ist jedoch ein agiles Entwicklungsmuster zu haben. Zum Beispiel könnte eine Iteration wie folgt aussehen:
- 2 Minuten Besprechung im Produktionsteam (für die Ideenfindung einer Lösung zu den Regeln) und eine Schätzung des Produktionsteams, wie viele Bälle sie wohl produzieren können.
- 2 Minuten Produktion
- 1 Minute Retrospektive: Wie viel wurde geschafft, wurde das Ziel erreicht? Wenn nicht wieso nicht.
Wichtig ist, dass dann mehrere Interationen nach einem Plan wie oben beschrieben gespielt werden. Hauptziel ist, dass die Teilnehmer erfahren, wie sie mit jeder Iteration erlernen genauer einschätzen zu können, wie viele Bälle Sie produzieren können. Nach drei, vier Interationen können dann auch Veränderungen mit ins Spiel gebracht werden, um weitere Einflüsse auf die Agile Produktion zu testen. Zum Beispiel kann noch eine beliebige Regel ergänzt werden, oder die Teams neu zusammengestellt werden. Es kann auch Druck durch einen imaginären Kunden aufgebaut werden. Der Kreativität ist hier keine Grenzen gesetzt.
Was Ihr daraus lernen könnt.
Spielerisch werden hier die verschiedenen Werte und Prinzipien erlernt und vermittelt. Je nach Variation der Regeln, lassen sich verschiedene Einflüsse ganz ungezwungen und mit viel Spaß simulieren. Es bietet sich an, nach einem solchen Spiel eine kleine theoretische Grundlagensitzung anzuschließen. Die Teilnehmer können dann aus den Erfahrungen aus dem Spiel sofort Rückschlüsse auf die alltägliche Arbeit ziehen.
2. Retrospektive
Eine weitere wichtige Maßnahme für die Entwicklung des Team-Commitments ist das regelmäßige Durchführen einer Retrospektive. Ganz nach dem Motto „Aus Fehlern Lernen“ sollte bei der Agilen Entwicklung gehandelt werden. Einen Fehler zu machen ist nicht schlimm, ihn zweimal zu tun ist dumm. Wichtig ist, dass die Retrospektive von einer neutralen Person, moderiert wird. Es gibt verschiedene Arten Retrospektiven zu halten. Dies ist eine ganz eigene Wissenschaft für sich, wie eine gute Retrospektive moderiert und durchgeführt wird. Hier ein paar interessante Artikel zum Weiterlesen.
- it-agile: Eine gute Zusammenfassung zum Thema Retrospektiven
- Blogartikel über das halten einer guten Retrospektive
- Frischer Wind für gute Retrospektiven
Fazit zum Team Commitment
Nun mag sich einer fragen, die Geschichte ist ja ziemlich weit hergeholt. Das mag an und für sich stimmen, aber in meinem Leben als Softwareenwicklerin ist das ein alltägliches Phänomen. User Stories hängen iterationsübergreifend am Board und alles was der Entwickler dazu zu sagen hat, ist: „Es ist fast fertig.“. Wenn dann der Scrum-Master fragend interveniert „Was nimmst du dir denn bis morgen vor?“ Ist die Antwort „Das kann man jetzt so genau ja nicht festlegen, wer weiß was alles dazwischen kommt.“ Ich bin fest der Überzeugung, dass es sich hierbei auch keinesfalls um einen Einzelfall handelt. Team-Commitment alleine reicht natürlich keinesfalls für eine erfolgreiche Agile Entwicklung. Aber es ist doch ein wesentlicher Bestandteil, dem unbedingt Beachtung geschenkt werden sollte, vielleicht ja mit einen der oben genannten Methoden 🙂
Referenzen
[1] ROOCK, S. & WOLF, H. (2016) Scrum verstehen und erfolgreich einsetzen. dpunkt.Verlag. Heidelberg, Deutschland
[2] RÖPSTORFF, S. & WIECHMANN, R. (2012) Scrum in der Praxis – Erfahrungen, Problemfelder und Erfolgsfaktoren. dpunk.Verlag. Heidelberg, Deutschland
[3] ANDERSEN, J. (2013) Retrospektiven in agilen Projekten: Ablauf, Regeln und Methodenbausteine. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. Deutschland
[4] JONAS, K., STROEBE, W. & HEWSTONE, M. (Hrsg.)(2014) Sozialpsychologie. Springer-Verlag. Berlin Heidelberg, Deutschland
[5] SVEN (2016) Die SMART-Methode: Ziele formulieren, die dein Projekt erfolgreich machen. (http://www.agile-master.de/smart-ziele-projektmanagement/). Last Accessed: 12.06.2016
Hallo Stephanie, vielen Dank für deinen Beitrag. Wir haben das Spiel mit den „magischen Bällen“ ja auch im Kurs ausprobiert. Hier fand ich es sehr anschaulich wie der Teamzusammenhalt spielerisch gefördert wurde. Auch wenn die Gefahr groß sein kann, sich ohne Erklärung oder Retrospektive albern zu fühlen, war es ein anregendes Spiel für Kommunikation und Kreativität. Ich denke es kann eine sinnvolle Übung sein um bestehende Gruppenmuster aufzubrechen und Commitment zu fördern.
Hallo Stephanie,
vielen Dank für deinen interessanten Blogeintrag. Schön, dass du dich speziell auf ein Problem in der agilen Entwicklung spezialisiert hast und verdeutlich hast, wie sehr fehlendes Commitment die Prinzipien der agilen Entwicklung stören kann. An Hand dieses Beispiels wird nochmals deutlich, dass alle Prinzipien der aglen Entwicklung vom Team abhängig sind und genau darauf der Fokus liegen sollte. Fehlendes Commitment entsteh sicherlich auch sehr häufig, wenn der Einführungsprozess nicht ausreichend durchgeführt wurde. Das Team scheint in deinem Beispiel wenig Zeit gehabt haben die Prinzipien zu verinnerlichen und sich als Team in allen einzelnen Phasen formen zu können. Das Beispiel mit den magischen Bällen ist wirklich ein guter Lösungsansatz. Allerdings ist es auch hier die Frage, ob das Team in der Lage ist diese Erkenntnisse auf die Arbeit zu übertragen?! Kurz hatte ich überlegt ob Gamifizierung an dieser Stelle auch ein hilfreicher Ansatz wäre? Aber wohl eher nicht, oder? Es würde eher zusätzlich von der Verinnerlichung der agilen Prinzipien ablenken, oder?
Sehr schöner, kurzer und übersichtlicher Artikel. Besonders gut gefällt mir die Einbindung der Prinzipien.
Lg Betti
Hi Stephanie,
vielen Dank für deinen tollen Blogartikel, der sehr anschaulich den Einfluss von Team Commitment auf den Erfolg agiler Entwicklung darstellt.
Ich finde auch, dass deine zwei Ansätze zur Förderung von Team Commitment sehr wirksam klingen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Spiel „Let’s play agile“ vor allem kurzfristig (vor einem neuen Projekt oder einer neuen Herausforderung innerhalb des Projekts) funktioniert, während die Retrospektive kontinuierlich das Team Commitment fördert – hier ist der Schlüssel Kommunikation. Eine ausreichende Kommunikation im Team sowie der respektvolle Umgang miteinander sollte meiner Meinung nach stets auch vom Scrum Master gefördert werden. Und bei den ersten Anzeichen für fehlendes Team Commitment schnell mit passenden Maßnahmen (wie z.B. dem Spiel) entgegengewirkt werden.
Liebe Grüße,
Kerstin
Hi Stephanie,
vielen Dank für deinen Artikel. Er ist wirklich gut strukturiert und verständlich.
Der Artikel beschäftigt sich eher damit, wie sich fehlendes Commitment äußert und was man dagegen tun kann. Ich finde es immer wichtig, sich die Ursache für ein Problem deutlich zu machen. Warum zeigt das Team kein Commitment? Liegt es daran, dass die Team Mitglieder sich untereinander nicht verstehen? Liegt es daran, dass die Zielvorgaben nicht klar sind? Liegt es daran, dass sich einzelne Teammitglieder nicht mit der Aufgabe identifizieren können? Liegt es daran, dass Teammitglieder nicht motiviert sind? Liegt es daran, dass das Team überfordert ist? Liegt es daran, dass die Arbeit keine Wertschätzung erfährt?
Erst wenn die Ursache des mangelnden Commitments identifiziert worden ist, kann meiner Meinung nach eine Lösung zur Steigerung des Commitments gefunden werden.