Wie Sie umsatzstarke Software Anforderungen entwickeln und die Repräsentationsheuristik für sich nutzen.
Erfolgreiche Software-Entwicklung zeichnet sich durch regelmäßiges Priorisieren der funktionalen und nicht-funktionalen Anforderungen aus. Wägen Sie hierfür auch ab, wie häufig jede Softwareanforderung oder Funktion benötigt wird?
Falls ja, wissen Sie um die Schwierigkeiten bei der Priorisierung von neuen Anforderungen an Ihre Software. Selten liegen Ihnen belastbare Zahlen zu den Häufigkeiten vor, mit denen User bestimmten Tätigkeiten nachgehen, die Ihre Software begleitet. Aus dieser Not heraus wird die benötigte Nutzungshäufigkeit aus anderen verfügbaren Informationen geschätzt.
Für ein vergleichbares Beispiel aus einer Untersuchung von Kahneman und Tversky (1983) möchte ich Ihnen Linda vorstellen: „Linda ist 31 Jahre alt, alleinstehend, sehr intelligent und sagt offen ihre Meinung. Sie hat Philosophie studiert. Während der Studienzeit beschäftigte sie sich ausführlich mit Fragen der Gleichberechtigung und der sozialen Gerechtigkeit und nahm auch an Anti-Atomkraft-Demonstrationen teil.” Was schätzen Sie? Ist Linda A) eine Bankangestellte oder B) eine Bankangestellte und in der feministischen Bewegung aktiv?
Die Repräsentationsheuristik in der Anforderungsentwicklung
Lautet Ihre Antwort auch B, so haben Sie sich wie die über 80 Prozent der Versuchsteilnehmer auch auf Ihre Repräsentationsheuristik verlassen und sich täuschen lassen. Das heisst, sie haben die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses aufgrund von plausibel erscheinenden Hinweisen bewertet und den Konjunktionseffekt übersehen.
Die richtige Antwort lautet A, weil nach der Konjunktionsregel die Wahrscheinlichkeit eines verknüpften Ereignisses (B) nie größer ist als die Wahrscheinlichkeit der beiden Einzelereignisse (Bankangestellte, Mitglied der feministischen Bewegung).
Sind Sie bereit noch einen Schritt weiter zu gehen? Stellen Sie sich vor, Sie hätten für eine neue Software 70 Ingenieure und 30 Rechtsanwälte interviewt. Von einem der Interviewteilnehmer wissen Sie folgendes: „Jack ist 45 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Er ist im Allgemeinen konservativ, sorgfältig und ehrgeizig. Er interessiert sich nicht für Politik oder soziale Fragen und verwendet den größten Teil seiner Freizeit auf eines seiner vielen Hobbys, wie z. B. Tischlern, Segeln und mathematische Denksportaufgaben.“ Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist Jack ein Ingenieur?
Die Basisrate in der Anforderungsentwicklung
Was haben Sie geschätzt? Die Versuchsteilnehmer schätzten, dass Jack zu 90 Prozent ein Ingenieur ist (Kahneman & Tversky, 1973). Das ist aus zwei Gründen interessant.
Zum Ersten, weil diese Schätzung von der vorgegebenen Basisrate der 70 Ingenieure und 30 Rechtsanwälte abweicht. Zum Anderen, weil Versuchsteilnehmer, denen die entgegengesetzte Basisrate (30 Ingenieure und 70 Rechtsanwälte) genannt wurde, auch zu 90 Prozent auf einen Ingenieur tippten.
Menschen schätzen die bedingte Wahrscheinlichkeit (Jack ist Ingenieur) unter einer Bedingung (Verteilung der Interviewteilnehmer) also ohne Berücksichtigung der Basisrate. In der Literatur wird das als Basisratenfehler oder Prävalenzfehler bezeichnet.
Was lernen wir aus diesen Untersuchungen für die Entwicklung von Anforderungen?
Die Ergebnisse der hier genannten und vieler anderer Untersuchungen zeigen, dass unser Gehirn nach Begründungen sucht und sie häufig ohne rationale Überprüfung nutzt. Denkheuristiken wie die Repräsentationsheuristik nutzen Menschen, weil sie das anstrengende Nachdenken bei ihren 20.000 bis 100.000 Entscheidungen pro Tag ersetzen.
Doch selbst, wenn sie über die Basisrate einer Nutzungshäufigkeit verfügen, besteht die Gefahr, dass diese nicht in ihr Urteil einfließt. Das führt zu unnötigen Software Requirements und fehlenden Funktionen. Unnötige Software Anforderungen bedeuten überflüssige Entwicklungskosten. Fehlende Funktionen sind auf eigene Kosten nachzuliefern. Wie Sie es auch drehen, die falschen Requirements kosten wertvolle Ressourcen in der Software Entwicklung.
Psychologische Methoden für die Anforderungsentwicklung
An dieser Stelle möchte ich einmal betonen, dass uns die Natur mit der Repräsentationsheuristik ausgestattet hat, weil sie unser Überleben fördert. Also lohnt es sich unseren Blick darauf zu lenken, wann sie richtig funktioniert. Die Forschung zeigt, dass nur Experten für ein Themengebiet mit Denkheuristiken wie der Repräsentationsheuristik spontan Erfolg haben.
Das bringt uns zu der Frage, wer der größere Experte für den Kontext ist, in dem Ihre Software genutzt wird: Die User oder Ihre Kollegen aus Bereichen wie dem Vertrieb, dem Produktmanagement und der Entwicklung?
Unserer Erfahrung nach, ist der User der Experte schlechthin für den Nutzungskontext.
Selbst Ihre erfahrenen Kollegen können ihm nicht das Wasser reichen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die User in die Entwicklung einzubinden. Hierfür verfügen Softwarepsychologen über eine Vielzahl an Methoden.
Richtiger Mindset für das Requirement Engineering
Schauen Sie sich diese Methoden für die Anforderungsentwicklung gern an und probieren Sie diese aus. Übung formt Ihren Mindset und macht den Meister. Das gilt auch für Ihre Auswertung und Nutzung der gewonnenen Daten. Schließlich möchten Sie in Zukunft den Basisratenfehler vermeiden und die gewonnenen Daten zur Basisrate in Ihren Entscheidungen bewusst einfließen lassen.